IN DER LIEBE SEIN
Eine Spiritualität der Gegenwart




Jürgen Schäfer

173 Seiten
2018
€ 40
ISBN 3-901735-30-5




Es wirkt etwas in uns, das wartet auf uns, wie ein Schatz, der entdeckt werden will. Wie das Herz allen Seins, das uns meint. Etwas, das uns in bedingungsloser Liebe ansieht, in dem wir verbunden sind mit dem Nächsten und Fernsten zu Solidarität und Ganzheit. Das Lebendige, das Atmende, das sich ausdehnt und zusammenzieht. Ein Resonanzraum wirklicher Liebe, ein "Flow", der uns trägt und Leben eröffnet.

Jürgen Schäfer war langjähriger evangelisch-reformierter Pfarrer in Feldkirch, jetzt Seelsorger im Kaplan Bonetti-Haus in Dornbirn.


Aus dem VORWORT:

Es gibt ein Sein in der Liebe. Es ist ohne Erwartung und absichtslos, ein reines Geschenk. Du kannst es nicht herbeiführen, aber dich darauf ausrichten, dich ihm öffnen, es zulassen und empfangen. Es ist wie ein großer Resonanzkörper, dessen Schwingungen jene unserer kleinen Resonanzkörper relativiert und übersteigt. Das Sein in der Liebe umfängt und durchdringt das mannigfache Sein in der Familie, am Arbeitsplatz, im Verein und selbst jenes in der Gesellschaft insgesamt. Dabei ist dieses Sein in der Liebe nicht etwas, das halt irgendwie existiert, erahnbar, erfühlbar, sondern lebendiges Sein, Begegnung und Gespräch zwischen Ich und Du. DU, der uns persönlich berührt, uns meint, uns will.
Es lebt in mir wie in dir, in der Beziehung. Es kann hilfreich sein, einen Lehrer zu haben, die Heilige Schrift zu studieren, einen Gottesdienst oder eine Gesprächsrunde zu besuchen, es kann hilfreich sein, wenn jemand davon erzählt. Aber entscheidend und wirklich wirksam ist nur die eigene Erfahrung. Mit Gott ist es wie mit der Liebe. Wir sind in ihm wie in ihr, wir wohnen in ihr. Damm stellt sich für uns keine Frage nach der Existenz der Liebe, eine Frage, die eigentlich absurd ist. Denn würden wir sie stellen, träten wir sogar aus dieser Liebe heraus. Die Begegnung mit Gott geschieht in uns, nicht außerhalb! Nicht in der Welt des Gegenständlichen, der Ich-Es-Welt, in der selbst der Mensch zum Gegenstand wird, in der Welt des Vergleichens und Wertens, der Konkurrenz und Eifersucht, des Verurteilens und der Austauschbarkeit. Die Begegnung mit Gott geschieht in der Welt des Ich und Du, der Begegnung und Beziehung, des Werdens und der Liebe, der Einmaligkeit und Unbegrenztheit. Nicht im Haben, sondern im Sein. Nicht im Festhalten, sondern im Loslassen. Nicht Nützlichkeit und Brauchbarkeit sind es, die uns und dem Leben Sinn und Tiefe geben, nicht Leistung und Name, sondern die stille Stimme der Liebe. Das Loslassen ist wie ein Fallenlassen in das, was wir Gott nennen oder in östlichen Traditionen als wahres Selbst bezeichnen, als Urgrund, Anfang und Ende, als große Seele, Herz des Universums oder Weltseele. Ein Fallenlassen in etwas, das hinter und über dieser Welt steht: Liebe. Die alles geschaffen hat, auch uns, aus keinem anderen Grund als dem, weil sie nicht allein bleiben wollte. Die so ist wie ein verborgener Schatz, der entdeckt werden wollte. Letztlich vielleicht auch so, wie wir selber sind, unentdeckt und nach einem Du sehnend. Denn nur über das ersehnte und erfahrene Du gelangen wir zum erlebten Selbst. Wenn wir uns selbst erleben, kommen wir zu Gott, und wenn wir das Du erfahren, kommen wir zu uns selbst und zu Gott. Das Ich, das am Du wird: der Weg geht immer nach Hause. Diese Liebe ist erlösend und befreiend, ist heilend und verbindend, sie sieht uns freundlich an und ruft uns. Irgendwann wird es keine Fragen mehr geben, weil alles beantwortet ist. Kein Suchen mehr im Außen, weil alles in uns selbst schon liegt. Das Geschenk unseres Lebens. Der Weg führt vom Kopf zum Herzen, vom Verstand zu unseren Empfindungen und Gefühlen, von außen in unseren Körper hinein. Von der vergehenden Zeit, vom Gestern und vom Morgen in den Moment der ewigen Gegenwart.
Dieses Buch handelt von Freiheit und Liebe, von Sehnsucht und Erfüllung, von Grundanliegen unseres Herzens. Religionen geben Antworten auf die Grundfragen unseres Lebens. Spiritualität aber sucht nicht nach Antworten, sondern versucht, diese Fragen und Geheimnisse zu leben. Deshalb ist dies auch kein Lehrbuch mit einem Anspruch auf Weisheit und Wahrheit. Es ist aber getragen vom Wunsch nach Begegnung mit dem Leser und eine Einladung zum Gespräch.
Mit Spiritualität ist immer ein Weg gemeint, ein Prozess, bei dem es um Integration geht, um das Verbinden abgespaltener Anteile: Leben und Tod, Gott und Mensch, Liebe und Sexualität. Um unser wahres und unser „falsches” Selbst, unsere Beziehungen und Kontakte. Jesus von Nazareth meint diesen Weg, den jeder für sich selbst entdecken muss, wenn er sagt „Tretet ein in das enge Tor! Denn weit ist das Tor und breit der Weg, der ins Verderben führt, und viele sind es, die da hineingehen. Wie eng ist das Tor und wie schmal der Weg, der ins Leben führt, und wenige sind es, die ihn finden!" Der enge Weg ins Leben, den Jesus da meint, ist der Weg in das Reich Gottes, in das Sein in der Liebe. Die Gedanken Jesu kreisen dabei um diese Fragen: Wie kommen wir in das Reich Gottes? Wie ist es, im Reich Gottes zu sein? Wie können wir im Reich Gottes bleiben? Dieses Reich ist nicht irgendwo und in ferner Zeit, es ist hier und jetzt - wenn wir offen und bereit werden und lernen, empfangen. Das Suchen dieses Gottesreiches ist nach Jesus das Wichtigste von allem, es hat oberste Priorität. Laut den Evangelien ist die Verkündigung Jesu die Botschaft vom nahegekommenen Gottesreich. Gott ist jedem Menschen ganz nah, näher als der Mensch sich selbst ist. Wer diese frohe Botschaft von der befreienden Liebe glauben kann, der findet Heimat und Geborgenheit in sich selbst, der kann umkehren aus Zwängen und Ängsten. Die frohe Botschaft vom Gott, der nichts als Liebe ist, lädt uns ein zu einem Leben in freier Selbstentfaltung und Liebe. Doch diese Botschaft vom bedingungslos liebenden Abba-Gott, von Liebe und Vergebung, vom Reich Gottes, das wir hier und jetzt in der Gegenwart empfangen können, tritt im Laufe der Kirchengeschichte hinter dem Mythos vom stellvertretenden Opfertod Christi zurück, die Bergpredigt wird immer mehr für unlebbar erklärt, das Reich Gottes wird in ein fernes Jenseits verschoben und mit dem Gedanken eines Jüngsten Gerichts verknüpft. Was Jesus als die Gegenwart des Reichs Gottes beschreibt, ist aber das, was der auferstandene Christus uns hier und jetzt sagt. Seine vorkirchliche Botschaft soll und will uns helfen, nach Gott, nach dem Sinn unseres Lebens zu fragen. Christliche Spiritualität ist die Einladung in das Reich Gottes, die Aufforderung, einen Raum zu betreten, der jenseits von Gut und Böse ist, einen Raum des Vertrauens und der Liebe. Hier kann Liebe geschehen, die alle Wertungen und Verurteilungen vertreibt. Jeder Mensch hat in jedem Augenblick seines Lebens Zugang zu diesem Raum, er muss sich nur für die Liebe entscheiden.